Herausforderungen und Chancen Unternehmensnachfolge im Handwerk in Brandenburg
Interview mit dem Präsidenten des Handwerkskammertages Land Brandenburg und der Handwerkskammer Potsdam, Metallbauermeister Robert Wüst, erschienen am 9. November in Wirtschaft+Markt, Das Wirtschaftsmagazin des Ostens
Das Thema Unternehmensnachfolge ist ein Dauerbrennerthema für den weiteren wirtschaftlichen Erfolg des Landes Brandenburg. Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern des Landes Brandenburg betonen die zentrale Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft und Stabilität ganzer Regionen des Landes. Besonders im Handwerk, wo individuelles Know-how und jahrzehntelange Erfahrung oft in den Händen von Einzelpersonen liegen, ist die reibungslose Übergabe an die nächste Generation essenziell. Im brandenburgischen Handwerk nimmt dieses Thema, angesichts einer hohen Zahl an Betriebsinhabern im übergabefähigen Alter, eine besonders dringliche Dimension an. Wir haben mit dem Präsidenten des Handwerkskammertages Land Brandenburg und der Handwerkskammer Potsdam, Metallbauermeister Robert Wüst, über die Herausforderungen, Chancen und notwendigen Rahmenbedingungen bei der Unternehmensnachfolge gesprochen.
Wirtschaft und Markt: Herr Wüst, beginnen wir mit dem Kern: Wo liegt Ihrer Ansicht nach das eigentliche Erfolgsgeheimnis einer erfolgreichen Unternehmensübergabe?
Robert Wüst: Das Geheimnis liegt sicherlich in einer vorausschauenden Planung und der Bereitschaft, sich bei einem so weitreichenden Entschluss, sein Unternehmen in jüngere Hände geben zu wollen, Unterstützung zuzulassen. Das Landesprojekt „Unternehmensnachfolge“ unterstützt durch den EU-Fonds für Regionalentwicklung, stellt genau das sicher. Doch es geht nicht nur um die Planung, sondern auch um das Verständnis, dass eine erfolgreiche Übergabe oft mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Es ist ein Prozess des Kennenlernens, Vertrauensaufbaus und der schrittweisen Übergabe von Verantwortung. Es sensibilisiert die Unternehmerinnen und Unternehmer für eine frühzeitige Regelung und unterstützt sie dabei, den Übergabeprozess systematisch vorzubereiten und schiebt nächste wichtige Schritte an.
Wirtschaft und Markt: Das klingt einleuchtend, aber warum bleibt die Nachfolgeregelung dennoch so ein Dauerbrenner?
Robert Wüst: Von den rund 40.000 Handwerksbetrieben im gesamten Land Brandenburg suchen tausende in den kommenden zehn Jahren motivierte jungen Menschen, die ihr Lebenswerk fortführen. Nehmen Sie als Beispiel das westbrandenburgische Handwerk. Wie hoch die Dringlichkeit von Unternehmensnachfolgen oder Gründungen im Handwerk sind, will ich Ihnen anhand weniger Zahlen verdeutlichen: In rund 43 Prozent unserer 17.400 Mitgliedsbetriebe sind die Betriebsinhaberinnen oder Betriebsinhaber in Westbrandenburg 55 Jahre oder älter und in der Situation, sich mit dem Gedanken der Nachfolge zu befassen. Konkret sind allein in dieser Region in den nächsten Jahren zirka 7.500 Handwerksbetriebe mit rund 30.000 Mitarbeitern vom Thema Nachfolge betroffen. Bei vielen Handwerkerinnen und Handwerkern ist der Gedanke des Rückzugs allerdings noch nicht in den Köpfen, da sie tief im Tagesgeschäft stecken und das Rentenalter noch weit entfernt scheint. Daher wird die Vorbereitung der Nachfolge oft verschoben. Doch wir appellieren immer wieder, das Thema nicht auf die lange Bank zu schieben, weshalb wir möglichst frühzeitig – d.h. bis zu zehn Jahre vor der eigentlichen Übergabe – sensibilisieren wollen, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, vor allem rechtzeitig eine geeignete Nachfolgerin oder einen Nachfolger auszubilden oder zu suchen und zu binden.
Wirtschaft und Markt: Ein schwerwiegendes Problem. Und was passiert, wenn diese Unternehmen keinen passenden Nachfolger finden?
Robert Wüst: Die Folgen können drastisch sein. Nicht nur für das Unternehmen selbst. Wenn diese Betriebe schließen müssten, gingen nicht nur Arbeitsplätze und Know-how verloren, sondern auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für Brandenburg, das nun einmal ländlich geprägt ist. Es schließt ja nicht einfach nur ein Handwerksbetrieb. Es gehen Ausbildungsplätze verloren, damit die Sicherung der notwendigen Fachkräftebasis für die nächsten Jahrzehnte. Als soziale und wirtschaftlich bedeutsame Anker vor allem in ländlichen Regionen sichern unsere Handwerksbetriebe maßgebliche Versorgungsstrukturen, aber genauso das kulturelle, soziale Leben, tragen sie eine nicht zu unterschätzende Verantwortung, sind tragende Säule der Wirtschaft im Land. Gerät dieses Gefüge aus dem Takt, weil immer mehr Betriebe keine Nachfolger finden, weil sie sich möglicherweise auch zu spät damit auseinanderzusetzen, läuft Brandenburg Gefahr, Versorgungsstrukturen zu verlieren und Zukunftsperspektiven junger Menschen zu verspielen, statt ihnen zu ermöglichen, sich in der Heimat eine persönliche und wirtschaftliche Zukunft aufzubauen. Und ja, auch daran müssen wir alle arbeiten: Wir brauchen dazu auch alternativlos eine gute Infrastruktur, denken Sie an Bahnverbindungen oder Digitalisierungsfragen, vor allem im weiteren Metropolenumfeld und müssen andere Anreize setzen, für ein Ja zum Unternehmertum – bestes Beispiel: Entbürokratisierung.
Wirtschaft und Markt: Das führt mich zur nächsten Frage: Welche politischen Rahmenbedingungen braucht das Handwerk, wenn man an die vielen anstehenden Nachfolgen denkt und vor allem, um junge Menschen zu motivieren, solche Unternehmen zu übernehmen?
Robert Wüst: Ein guter Anreiz für Existenzgründungen und Unternehmensnachfolgen ist die Förderung der Nachfolgesensibilisierung und vor allem die Meistergründungsprämie des Landes. Das ist eine große Hilfe bei der Gründung und Übernahme eines Betriebes und muss unbedingt fortgeführt werden. Tatsächlich braucht es aber insgesamt ein Bündel an Maßnahmen, das von finanzieller Unterstützung, fairer Verteilung der Energiekosten zwischen Industrie und KMU über Wachstumsmöglichkeiten, Senkung und Verschlankung der Steuersätze und -vorschriften bis zur wesentlichen bürokratischen Entschlackung bei der Antragsstellung staatlicher Unterstützungsprogramme oder bei den Meldepflichten reicht. Eine zentrale Anforderung sind sicherlich steuerliche Anreize und Bildungsprogramme. Und es gibt ein weiteres, grundsätzliches Problem: Die Unterscheidung in Industrie und Handwerk muss aufhören, auch im politischen Rahmen. Das Handwerk ist keine Wirtschaft "zweiter Klasse". Wir müssen aufhören, wirtschaftliche Erfolge ausschließlich in großen Industrieansiedlungen zu sehen. Dies ist nicht nur historisch falsch, sondern auch wirtschaftlich kurzsichtig. Das Handwerk ist das Rückgrat vieler regionaler Wirtschaften, gerade in Brandenburg. Es verdient daher die gleiche Wertschätzung wie die Industrie. Die öffentliche Wahrnehmung tendiert leider immer noch dazu, das Handwerk zu marginalisieren, das ist ein großes Problem. Wir brauchen diese gleichberechtigte Behandlung von Handwerk und Industrie in politischen und öffentlichen Diskursen, Strategien und Förderprogrammen. Junge Menschen spiegeln uns aktuell immer wieder, dass die größte Hürde, zu gründen oder eine Unternehmensnachfolge anzutreten, diese fehlenden motivierenden Rahmenbedingungen sind und ja, auch die fehlende Anerkennung für unternehmerisches Handeln ist, das ja im Grundstein den Wohlstand der Menschen und ein wichtiger Baustein des wirtschaftlichen Erfolges von ganz Brandenburg bildet.
Wirtschaft und Markt: Das sind klare Worte und sicherlich auch ein Weckruf für die Politik. Vielen Dank für Ihre Ausführungen und Ihre Zeit!