Beim "Anlernvertrag" ist Mindestlohn zu zahlen

Die Vereinbarung eines „Anlernverhältnisses“ außerhalb eines regulären Ausbildungsverhältnisses verstößt gegen das Gesetz. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) statuiert den Grundsatz, dass für einen anerkannten Ausbildungsberuf nur nach der Ausbildungsordnung ausgebildet werden darf. Sollte trotzdem ein „Anlernvertrag“ geschlossen werden, ist er wie ein Arbeitsverhältnis zu behandeln und es ist der entsprechende Mindestlohn zu zahlen.

Diesen Standpunkt nahm nunmehr das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 27. Juli 2010 (Az.: 3 AZR 317/08) ein. Damit schließt es sich der Berufungsentscheidung des LAG Hannover aus dem Jahr 2008 an.

Im konkreten Fall schlossen die Parteien einen auf zwei Jahre befristeten „Anlernvertrag für die Vermittlung von Grundkenntnissen und Fertigkeiten in dem Beruf Maler- und Lackiererin - Gestaltung und Instandhaltung". Die Klägerin wollte nicht zur Berufsschule, weshalb es nicht zu einem regulären Ausbildungsvertrag kam. Es wurde eine monatliche Vergütung von 550 Euro brutto vereinbart.

Der Tarifvertrag sah seinerzeit einen Mindestlohn von 7,85 Euro brutto vor (Hinweis: zwischenzeitlich gilt ein höherer Mindestlohn!). Die tarifliche Ausbildungsvergütung für den anerkannten Ausbildungsberuf zum Maler und Lackierer betrug bei Vertragsschluss im ersten Lehrjahr 342 Euro, im zweiten Lehrjahr 373 Euro und im dritten Lehrjahr 483 Euro. Die Klägerin machte nach ihrer Kündigung mehrere tausend Euro „Restlohn“ mit der Begründung geltend, der „Anlernvertrag“ sei nichtig.

Schon das LAG Hannover ging davon aus, dass die Ausbildung zwingend nach der Ausbildungsordnung erfolgen muss, wenn für einen anerkannten Ausbildungsberuf eine solche besteht. Daher sei der „Anlernvertrag“ nichtig.

Das „Anlernverhältnis“ sei aber wie ein Arbeitsverhältnis zu behandeln. Die Klägerin habe daher für ihre Tätigkeit einen Anspruch auf die übliche Vergütung. Diese richtet sich nach den Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung eines Mindestlohnes für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk.

Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht letztinstanzlich angeschlossen. Nicht nur, dass dem Arbeitgeber jetzt eine satte Nachzahlung droht. Auch strafrechtlich ist dieses Kapitel wohl noch nicht abgeschlossen: Nach einer neueren Entscheidung des OLG Naumburg ist bei der Festsetzung der an die Sozialkassen abzuführenden Beiträge nicht der tatsächlich gezahlte geringere Lohn maßgeblich, sondern der höhere Mindestlohn. Im vorliegenden Fall kommt also ggf. sogar eine Strafbarkeit wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Betracht.

Marcel Pissarius

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